Über Frauen
Und Architektur
Am Kopfende des Innsbrucker Hauptbahnhofs, schräg gegenüber des AUT (architektur und tirol), wächst gerade ein Neubau in die Höhe, der ab September 2022 neben einem Motel One auch den neuen Showroom von reiter design beherbergen wird. Hier haben wir mitten in der zugigen Baustelle vier Architektinnen getroffen, um mit ihnen über ihre Arbeit, die Architektur in Tirol, Frauen und Männer in diesem Beruf und so manches mehr zu plaudern.
Auf der einen Seite vier Männer in Form des Reiter Magazin Teams, auf einer Bank aus Wedi-Platten. Gegenüber, auf den bequemen „Little Petra“-Loungern von &tradition, vier Frauen, alle zusammen erfolgreiche Architektinnen. Kein Wunder, dass es gleich um genau diese „Kontraposition“ ging: Frauen in der noch immer sehr männlich dominierten Architektur. Barbara Poberschnigg, Iris Reiter, Teresa Stillebacher und Julia Matt-Schatz waren sich sehr schnell einig, dass es zwar durchaus diese Dominanz gibt, es sich aber laufend verändert – und zwar zum Positiven. „Auf der Uni ist der Anteil inzwischen sogar bei fast 50%“, erzählt Teresa Stillebacher, die als Universitätsassistentin Einblick in die Nachwuchsarbeit hat. Die hohe Drop-out-Quote nach Abschluss erklären sich die vier mit den oft prekären Arbeitsbedingungen in den 3 Praxisjahren und der Orientierung Richtung andere Berufe. Einig sind sich alle auch darüber, dass „wir Frauen noch immer viel mehr Einsatz bringen müssen, um annähernd dieselbe Akzeptanz zu erreichen wie die männlichen Kollegen“, wie Barbara präzisiert, und sie ergänzt:„Und wir haben anscheinend zu wenig John-Wayne-Mentalität.“ Das Licht wird noch immer zu häufig unter den Scheffel gestellt.
Anders verhält es sich mit der Akzeptanz bei BauherrInnen und Ausführenden. „Ich habe eigentlich nie Schwierigkeiten, meine BauherrInnen zu überzeugen. Es gibt in der Regel einen guten, wertschätzenden Kontakt“, so Iris Reiter.
Ähnlich verhält es sich mit HandwerkerInnen. „Sie sind vielleicht sogar etwas zurückhaltender mit Frauen. Da wird nicht so schnell herumgemault oder geschrien“, so Iris weiter. Charme und Humor sind auch am Bau nicht verkehrt. Sich zu verstellen, männlicher zu geben als man ist – das ist für keine der vier Damen eine Option. „Im Gegenteil“, sagt Iris Reiter, „ich bin ganz bewusst und sehr stolz die Frau, mit Familie zuhause und allem, was dazugehört.“ Ins selbe Horn stößt auch Julia Matt-Schatz. „Die Sichtbarkeit von Frauen in der Architektur zu verbessern und auch zu leben ist für sie ein wichtiger erster Schritt für mehr Akzeptanz und Gleichstellung.“ Und Barbara Poberschnigg geht noch einen Schritt weiter: „Ich bin zu 99 % der Zeit einfach nur ein Mensch – das andere ist schlichtweg egal“, sagt sie.
Ein gutes Stichwort für einen Themenwechsel. Wir wollen natürlich wissen, wie es der Architektur in Tirol geht. „Als ich von Zürich, wo ich länger gelebt und gearbeitet habe, nach Innsbruck gekommen bin, habe ich mir erst schon gedacht: Was für ein Sauhaufen“, steigt Julia gleich mit einem Lachen ein. Inzwischen schätzt sie die Vielfalt und auch die Möglichkeiten, die sich für sie als Architektin daraus ergeben. Auch Barbara attestiert den Tiroler BauherrInnen „eine hohe Bereitschaft zur Innovation.
Es gibt immer mehr Wettbewerbe und es ist insgesamt eine gute Entwicklung festzustellen“, konstatiert sie. „Das gilt auch für öffentliche Einrichtungen und besonders für Gemeinden“, ergänzt Iris und erzählt von einem hybriden Projekt, das rund um einen Schulneubau entstanden ist und das ihr sehr viel Spaß gemacht hat. Einzig beim Wohnbau sei es nach wie vor schwierig, stellen alle unisono fest. „Und auch im Tourismus passiert oft Schlimmes, wobei sich auch hier gerade viel verändert, dank einer jungen Generation, die einfach anders aufgestellt ist, nachhaltiger denkt, Qualität anders schätzt“, meint Barbara. Und für Teresa ist zu beobachten, „dass oft wenig Bedacht auf das allgemeine Landschaftsbild gelegt wird bzw. besonders die Ortsränder mehr gestalterische Aufmerksamkeit benötigen könnten.“
Jedenfalls sind sich alle einig, dass die Architektur in Tirol insgesamt einen deutlichen Aufwärtstrend verzeichnet. Auch Austausch und Zusammenarbeit zwischen Büros findet immer häufiger statt. „Wir haben gerade gemeinsam für einen Wettbewerb abgegeben“, erzählen Barbara und Iris. Auch Teresa und Julia arbeiten immer wieder projektweise zusammen und sind in einer räumlichen Gemeinschaft. Futterneid ist den Vieren jedenfalls fremd. „Im Gegenteil, ich bin sehr dafür, noch mehr Austausch und Zusammenarbeit zu erreichen, vor allem unter uns Frauen“, sagt Teresa Stillebacher.
Interessant ist die Bandbreite an Wunsch- oder Lieblingsprojekten, die wir auf Nachfrage zu hören bekommen. Während Julia das, was sie derzeit am meisten macht, eigentlich auch am liebsten tut – die Rede ist vom Wohnbau – würde Iris ein Museum reizen: Einfach ein komplexes Gebäude, am liebsten mit einem Nutzungsmix zur Belebung des Umfeldes, erklärt sie „und natürlich jede Form von hybrider Nutzung. Das finde ich am spannendsten“ ergänzt sie. „Für mich wäre es eine kleine Berghütte, die ich am liebsten nicht nur planen, sondern auch selbst bauen möchte. Ein bis zwei Materialien, ganz schlicht, das wäre meins“, schwärmt Barbara Poberschnigg. Und Teresa hätte ein Schwimmbad ganz oben auf ihrer Liste. „Mein Opa hat das Tivolibad geplant. Mich hat das immer inspiriert. Ein Schwimmbad ist ein freudiger Ort, voller Leben mit einer besonderen Atmosphäre. So was würde ich auch gerne bauen“.
Möbel und Einrichten stehen bei allen ganz weit oben in der Prioritätenliste. „Natürlich ist es perfekt, wenn man bis zur Einrichtung alles komplett fertig planen darf“, sagt Iris. „Erst beides zusammen, die Hülle und das Interieur machen zusammen die Wirkung aus“, ergänzt sie. Und auch für Barbara ist klar,„dass in Schichten von ganz außen bis zum Innersten gedacht werden muss, damit es am Ende eine runde Sache wird.“ Am ehesten funktioniert das bei öffentlichen Projekten, ABER AUCH bei privaten. „Hier wird durch die Einrichtung, das Planen und Bauen für die Bauherrschaft (BauherrIn) oft erst greifbar und vorstellbar.“ sagt Julia. „Durch gute Vorschläge können die zukünftigen BewohnerInnen gut abgeholt und begeistert werden.“
Langsam wird es kalt auf der Baustelle. Viel gäbe es noch zu bereden und wir sind sicher, dass wir demnächst eine Fortsetzung unseres Austausches machen werden. Alleine schon um am Ball zu bleiben bei den Entwicklungen in Tirol und der Rolle von vier starken Frauen als Gestalterinnen von privatem und öffentlichen Raum im heiligen Land. Wir sagen Danke für die Zeit, die offenen Worte und die Einblicke.
Bis bald.