In der Armut
liegt die Poesie
Man weiß zunächst nicht so genau, ob Sebastian und Thomas Handwerker und Unternehmer oder doch eher Künstler, Philosophen und Freaks sind. Erst als sie nach rund einer Stunde bei der fünften Tasse Kaffee von ihrer Firmengründung erzählen, schließt sich der Kreis und klärt sich die Eingangsfrage. „Wir haben für uns festgelegt, dass wir unser Unternehmen wie ein Piratenschiff führen möchten“, erklärt Sebastian. Ah, alles klar.
Dazu passt auch, dass sie zunächst das Gewerbe „Schatzsucher“ angemeldet haben. „Es gab gar keine andere Kategorie für die Fließenherstellung. Und Schatzsucher ist ein freies Gewerbe. Also perfekt für uns“, ergänzt Thomas Rösler, einer der beiden Köpfe von Karak. Sein Co-Pirat, Sebastian Rauch kam allerdings schon früher mit dem Thema Fliesen und Keramik in Berührung. Und zwar 2007, als sein Vater, der Künstler und Lehmbaumeister Martin Rauch, in Schlins in Vorarlberg ein Stampflehmhaus baute. „Er verwendete fast zu 90 % den eigenen Aushub und fertigte sogar die Fliesen selbst“, erinnert sich Sebastian. Das Haus war damals einzigartig und in allen Architekturmagazinen.
Sebastian Rauch selbst ist gelernter Grafikdesigner und Druckvorstufentechniker. Thomas Rösler wiederum Werkzeugbauer. Seit sie zusammengefunden haben, sind sie vom Prinzip der gebrannten Erde infiziert. „Erde zu verarbeiten, ein Stück Boden, es natürlich zu belassen und nur mittels einer besonderen Technik zu etwas Neuem zu gestalten – das hat eine unglaubliche Faszination“, sind sie sich einig. Auch Sebastians Mutter hat ihren Anteil an der Vorliebe für die Materialität. „Ich habe anfangs zwar immer gelächelt, wenn sie mir erklärte, dass Keramik Magie sei, aber heute weiß ich jeden Tag, was sie damit gemeint hat“, sagt Sebastian.
Dass die beiden die alte japanische Technik des Raku-Brandes für ihre Fliesen gewählt haben, ist in dieser Form beinahe weltweit einzigartig. Im Gegensatz zum oxidierenden Brand mit Luft wird bei Raku die reduzierende Technik eingesetzt. Die Fliese kommt nach dem Brand sofort in ein Bett aus Sägemehl, wodurch die Sauerstoffreaktion unterbunden und der Kohlenstoff in der Fliese fixiert wird. Dabei bildet sich die unvergleichliche schwarze Farbe und die bei jedem Brand unterschiedliche Oberfläche: Der durch den Sauerstoffentzug entstehende Rauch verändert die Farbe der Glasur und schwärzt die hauchdünnen Risse. „Dieser Prozess ist bei Raku überhaupt nicht kontrollierbar. Man muss einfach vertrauen, dass das Ergebnis gut sein wird, so wie es ist. Und man lernt loszulassen“, beschreibt Thomas diesen Prozess. „Dadurch entsteht ein unglaublicher Flow“, ergänzt er fast ein wenig verklärt.
Die Fliesen vom Piratenschiff in Bludenz sind inzwischen von Australien bis Florida gefragt. „Es ist echt schräg, wie sich das entwickelt hat“, wundern sich die beiden. Sie hatten nie eine Strategie, die auf Wachstum und Erfolg ausgerichtet war. „Wir wollten einfach etwas ganz Besonders schaffen und haben darauf vertraut, dass die Welt das dann auch will“, ist die entwaffnend einfache Aussage zum Erreichten. Ein wenig widerspricht es fast dem Prozess des Brennens, der viel Zeit braucht „und der läutert“, wie sie das beschreiben.
Aber wie entstehen nun die so besonderen Karak-Fliesen? Ausgangsmaterial sind unterschiedliche Ton- und Lehmerden. Sie werden mit bis zu 120 Tonnen Druck gepresst, dann luftgetrocknet und anschließend mit verschiedenen Glasuren belegt. „Unsere Ornamente sollen die Seele ansprechen. Sie sind ein Gegenpol zu unserer digitalisierten Welt und berühren das Innere“, beschreibt Sebastian den Anspruch an die Gestaltung der Muster, die im Siebdruckverfahren auf den Rohling kommen. Danach wird gebrannt, stehend, bei rund 1.000 Grad. Verschiedene Größen gibt es und eine ganze Palette an Ornamenten. „Wir erfüllen aber auch gerne Kundenwünsche, wenn sie zu unseren Vorstellungen passen“, sagt Thomas.
Inzwischen gibt’s in der alten Klarenbrunnfabrik in Bludenz Beschallung aus den riesigen Boxen über der Presse. Wir stehen an der Esse und beobachten die faszinierende Reaktion der Fliesen, wenn sie mit dem Sägemehl reagieren. Die Esse hat das Karak-Team übrigens zu dritt in rund 18 Stunden komplett mit Blattgold belegt. „Es ist wichtig, den zentralen Arbeitsplatz zu schmücken und ihm dadurch besondere Wertigkeit zu geben“, erklären die beiden diese außergewöhnliche Aktion. Besonders ist auch der Rest des „Piratenschiffes“. In Zusammenarbeit mit Architekt Daniel Büchel entstand in einem unglaublich intensiven Austausch ein Umfeld, dessen Atmosphäre man erleben muss – der Versuch einer Beschreibung wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nur so viel sei gesagt: Jedes Detail ist besonders und alles fügt sich perfekt zu einem Gesamtwerk – bis hin zur Ordnerbeschriftung „Ruhm & Reichtum OG“.
„In der Armut liegt die Poesie“, zitiert Sebastian den Architekten und erklärt, warum diese Aussage für sie so wichtig war: „Diese Haltung setzt große Energie frei, die kreative Lösungen schafft. Und das führt schlussendlich zu schönen Ergebnissen.“ Wir können dazu nur zustimmend nicken. Und wenn Thomas ergänzt, dass angesichts ihrer Raku-Fliesen einem Architekten bei einer Messe in England sogar die Tränen in die Augen stiegen, weil er so berührt war von der Qualität, dem Handwerk und der Ornamentik, dann müssen die Piraten wohl ziemlich viel richtig gemacht haben auf ihrer bisherigen Reise. Wir sagen Danke, dass wir für ein paar Stunden mitsegeln durften und wissen jetzt, dass sie von allem ein bisschen sind: Unternehmer, Handwerker, Philosophen, Künstler und Freaks.