Haute Couture
des Designs. Moroso
„Wir sind heuer 70 Jahre alt geworden, aber wir sind noch immer gleich jung, wie 1952 bei der Gründung“, erklärt uns Chiara Gratton gleich zu Beginn unseres Gesprächs im Empfangsbereich von Moroso. Und sie fügt ganz selbstverständlich hinzu, dass auch heute noch die Mission des Unternehmens, „die Schönheit von Design in die Gesellschaft und damit in die Welt zu bringen“ gültiger ist, denn jemals zuvor. Dieser Ansatz mag den Kritikern der Marke Moroso Material liefern, die möglicherweise eine gewisse Durchgängigkeit und Stilrichtung vermissen. Aber gerade in diesem absoluten Anspruch, zunächst das Schöne, das Besondere, das Einzigartige zu suchen, um ihm eine Form zu geben, bildet den roten Faden durch die Jahrzehnte und die Kollektion des Unternehmens. Genau das ist die DNA von Moroso, mit der das Unternehmen – vor allem mit dem Einstieg von Patricia Moroso in die Firma – richtig erfolgreich und international anerkannt wurde.
Und Chiara bestätigt uns das indirekt mit einem Schmunzeln, wenn sie meint: „Für Patricia zählen primär Design, dann Kreativität und erst an dritter Stelle Wirtschaftlichkeit.“ Vielleicht macht das auch das gute Auskommen und den Erfolg des Geschwisterduos Patricia und Roberto aus, die seit dem offiziellen Rückzug der Eltern den Betrieb leiten. Offiziell deshalb, weil Papa und Gründer Agostino, mittlerweile 93 Jahre alt, und seine Gattin Diana nach wir vor sehr interessiert am Unternehmesgeschehen teilnehmen – freilich ohne sich einzumischen.
Andere Wege gehen – dieser ursprüngliche Antrieb von Moroso findet auch heute noch immer unterschiedliche Wege an die Oberfläche, sprich ins Tagesgeschäft. Und auch die große Liebe von Patricia Moroso zur Kunst (siehe Interview auf der vorigen Seite) prägt den Schaffensprozess und damit die Kollektion des Unternehmens. Jüngstes Beispiel dafür ist die Gründung von „More-so“. Entstanden ist damit eine eigene Abteilung, die Forschung und Entwicklung als Teil von der Möbelproduktion auf eine gänzlich neue Ebene stellt. Das erste Projekt, das dabei entstand, ist „Design by Nature“, eine Kooperation von Moroso mit dem skandinavischen Büro „Front“. Für ihr Projekt verbrachten die beiden Front-Designerinnen Sofia Lagerkvist und Anna Lindgren mehrere Monate in einem Wald, um dort die Natur und ihre Veränderung im Lauf der Zeit und mit den unterschiedlichen Umwelt- und Wettereinflüssen zu beobachten. Sie nahmen Videos auf, machten unzählige Fotos und schufen damit eine Basis, die von Moroso in Möbel übersetzt wurde. Als Grundformen entstanden Sitzmöbel, die an Steine oder andere Monolithen erinnern. Und die Texturen und Stoffe nehmen die Oberflächen des Bodens, der Moose oder Blätter auf. Steine bilden sozusagen die Optik, Moos und Blätter die Idee für die Gestaltung.
More-so ist also teils R&D-Projekt, teils Heimat für die Förderung und Integration von Kunst im Rahmen der Enstehung von Möbeln bei Moroso. Design by Nature wurde bei der Art Basel in Miami vorgestellt und fand dort ein enormes Echo – sowohl medial wie auch von Seiten der Partner und Kunden. Ein nächstes Projekt ist bereits in der Pipeline. Es wird mit der zeitgenössischen italienischen Künstlerin Paola Pivi realisiert werden.
Ein wenig „handfester“, wenn man so will, geht es in einer anderen neuen Abteilung des Unternehmens zu. „Wir haben seit kurzem den Bereich Contract ins Leben gerufen“, erklärt uns Chiara. „Hier erarbeiten wir gemeinsam mit Architekten gesamtheitliche Interieurkonzepte. Wir wollen damit weg vom reinen Möbellieferanten, hin zum Lösungspartner“, so Chiara über die Motivation für diesen Schritt. Ein erstes Projekt wurde unter anderen in Österreich für das Weingut Scheiblhofer in Andau realisiert. Im Rahmen von Contract wird auch ein seit den 1980er-Jahren für Moroso wichtiges Standbein weiterentwickelt: die Ausstattung von Kreuzfahrtschiffen, die nun auf Hotels ausgeweitet werden soll. Auch hier gibt es bereits erste fertiggestellte Projekte, etwa in Mailand.
Zeit für einen Rundgang. Chiara nimmt uns mit in den Showroom, der gerade umgestaltet wird. Es ist eine ehemalige Fabrikshalle, durch die diagonal ein Stahlsteg gezogen wurde. Links und rechts, leicht unterhalb eröffnet der Catwalk den Ausblick auf zahlreiche der ikonischen Objekte, die Moroso über die Jahre und Jahrzehnte schuf. „Es ist alles sehr provisorisch“, entschuldigt sich Chiara völlig zu unrecht. Wir finden, es hat Flair, es gibt ein gutes Gesamtbild und es ist vor allem sympathisch. Weiter geht’s in Richtung Produktion.
Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem von zwei Stofflagern vorbei – und die sind echt beeindruckend. „Für unsere Arbeitsweise brauchen wir eben ein sehr umfangreiches Lager, damit wir entsprechend speditiv entwickeln können“, erklärt Chiara die unglaubliche Menge an verschiedenen Stoffballen, die hier lagern. Weiter geht’s in die Prototypen-Abteilung, wo gerade an … natürlich verraten wir nicht woran gearbeitet wird. Ehrensache.
Das Polstern ist ohne Zweifel eine der Kernkompetenzen von Moroso. Jahrzehntelange Erfahrung und Wissen, wie mit welchem Material umzugehen ist, prägen die Arbeit hier
in den Werkstätten. Egal ob beim Lederzuschnitt, beim Aufbau des Innenlebens oder beim letzten Schritt, dem Beziehen – hier sitzt jeder Handgriff, wird keine Abweichung toleriert, kein Kompromiss hingenommen. „Wir waren die ersten, die mit solchen Steppungen gearbeitet haben“, erklärt Chiara stolz und zeigt auf ein Sofa, das gerade den letzten Schliff bekommt. Ein wichtiges Standbein ist mittlerweile auch die Produktion im Senegal. „Der Mann von Patricia kommt von dort und hat eine Infrastruktur vor Ort aufgebaut, die nicht nur Arbeitsplätze schafft, sondern für Moroso Zugang zu neuen Techniken und Materialien eröffnet hat“, so Chiara.
Gefertigt werden im Senegal unter anderem der Shadowy Sessel von Patricia Urquiola. Ob sie noch viel für Moroso macht, wollen wir wissen. „Nicht mehr so viel wie früher, sie ist zu viel bei anderen Marken engagiert“, erzählt Chiara, „aber die Freundschaft zwischen den beiden Patricias ist nach wie vor sehr eng.“ À propos Freundschaft: Ein beinahe freundschaftliches Verhältnis pflegt das Unternehmen auch zu seinen Mitarbeitenden. Die meisten sind schon sehr lange hier tätig. Und wie überall ist es sehr anspruchsvoll, junge Leute für den Beruf zu finden. Die Latte liegt auch entsprechend hoch, wenn man Manchen bei der Arbeit zusieht. Etwa der Schneiderin Francesca, die ohne irgendein Schnittmuster aus dem Gedächtnis und mit höchster Präzision die Teile für die Näherinnen zuschneidet.
Und die Zukunft von Moroso? „Die liegt ganz klar im Weiterverfolgen der bisherigen Linie: Zusammenarbeit mit den besten Design-Köpfen, anders sein, experimentieren und etwas wagen und vor allem weiter die Schönheit in die Welt bringen“, sagt Chiara, ohne eine Sekunde nachdenken zu müssen. Die DNA passt, die Energie auch. Und solange Patricia Moroso die treibende Kraft ist, muss man sich wohl keine Sorgen um die künftigen Erfolge des Unternehmens machen.