Roland Trettl
Genuss ist jede Sünde wert!
Roland Trettl wurde nicht als Koch geboren. Zuerst spielte er Eishockey, legte in einer Disco Schmacht-fetzen auf und jobbte als Bademeister. Nach einer Kochlehre im Oberbozner Park Hotel Holzner schickte er ein Holzbrett als Bewerbung an Eckart Witzigmann und wurde erstaunlicherweise engagiert – der Anfang einer tollen Koch-Geschichte:
Er stieg bei Österreichs Jahrhundertkoch in die Spitzengastronomie ein und wurde rasch zur rechten Hand „des Chefs“. Aubergine, Tantris, Ca’s Puers – nach diesen Stationen übernahm er als Executive Chef das „Ikarus“ im Hangar-7. Mehr als zehn Jahre lang realisierte er mit insgesamt 120 Gastköchen aus allen Kontinenten das wohl aufregendste Restaurantkonzept der Welt. Irgendwann war es aber genug. Und seither ist er selbstständig: Als Optimierer, Autor, Fernsehgesicht und Styler.
St. Gallen Hauptbahnhof
Warten auf Roland Trettl. 9.18 Uhr, der Intercity aus Zürich fährt ein. Puls 150. 9.23 Uhr. Das Gepäck wird im Auto verstaut. Herr Trettl überlegt kurz: „Mit vielen bin ich über Jahre per Sie. Aber wir können Du sagen.“ Puls 65. Es wird ein guter Tag.
Die Fahrt Richtung Bregenzerwald vergeht wie im Flug. Es wird geplaudert, Geschichten werden ausgetauscht. Zwischendurch interessierte Fragen von Roland. Wir besprechen das Besuchs-programm, Personen und Orte, denen wir begegnen werden. Er ist offen für alles, freut sich auf den Tag und wirkt extrem entspannt. Und wir sind es zwischen-zeitlich auch. Er fragt, wie wir das Inter-view machen, ob es spezielle Fragen gibt. Wir werden sehen. Manchmal ist der beste Plan kein Plan. Vom Bödele aus begrüßen wir gemeinsam die Kanisfluh. Weiter geht die Fahrt über Schwarzenberg nach Andelsbuch. Kleiner Tipp: Versuchen Sie nicht, der alten Straße zu folgen. Es sei denn, Sie wollen irgendwann vor dem Gartenzaun eines der schönen Bauernhäuser stehen. Umkehren. Umfahrungsstraße nehmen. Roland fand´s amüsant.
Wahrnehmen, was ist
Roland Trettl sieht alles. Dabei geht er nicht nur mit offenen Augen durchs Leben, sondern inhaliert die Welt um sich mit den Haarspitzen, der Nase, den Ohren und – ohne dass man jetzt unbedingt den kleinen Prinzen bemühen möchte – mit dem Herzen. Er ist ein Beo-bachter, der aus den Eindrücken, die auf ihn einströmen Gedanken baut, sie mit seiner Erfahrung, seinen Überzeugungen und seiner Gegenwart abgleicht und daraus immer weiter den Stoff seines Lebens spinnt. Wir besuchen die Werkstatt. Sandra erklärt uns, wie bei Mohr Polster gearbeitet wird. Und Roland hört zu. Stellt Fragen. Bleibt vor der Werk-zeugwand stehen, wo auf einer Holzplatte Schraubenzieher, Feilen und andere Arbeits-utensilien akkurat aufgehängt sind. Er aber bemerkt vor allem die ungewöhnliche Mater-ialität – es ist eine wunderschöne Holzplatte – und das sorgsam freigelassene Astloch, das von seinem Logenplatz aus den Raum beobachten darf.
„Hier würde ich gerne ein Praktikum machen“, stellt Roland Trettl fest. Eines von vielen, wie seine Vita verrät. Er hat bereits seine eigene Lederjacke geschneidert, Schuhe gemacht, bei einem befreundeten Holzschnitzer gearbeitet, Käse gemacht und bei einem Tischler ge-schnuppert. „Wenn du einmal so was (er zeigt dabei auf seine Lederjacke) mit geschneidert hast, dann bekommst du einen völlig anderen Bezug zu den Produkten. Und zwar zu allen Produkten“, sagt er. Und so wie er die Dinge betrachtet, angreift und beinahe zärtlich begutachtet, glaubt man ihm das aufs Wort.
Das Detail macht den Unterschied
Dass ein Spitzenkoch – Roland Trettl war 11 Jahre lang Executive Chef im Hangar-7 in Salzburg und hat dort 120 Köche aus aller Welt für jeweils einen Monat als Gastköche engagiert, er hat auf Mallorca mit 28 den ersten Michelin-Stern erkocht, in Japan ein Restaurant eröffnet und ist wahrscheinlich eines der erfolgreichsten Pferde aus dem Stall von Eckart Witzigmann – auf jedes Detail achtet, ist nicht weiter verwunderlich, sondern vermutlich unabdingbar. Wenn er in der Küche steht. Wenn dieses Streben nach Perfektion sich allerdings „verallgemeinert“, ein Teil der Lebenshaltung wird und sich darin manifestiert, dass man auf einfach alles achtet, ist bestimmt außergewöhnlich.
Und bei alldem sagt er Sätze wie „Man darf sich selbst nicht zu wichtig nehmen“. Oder, gerichtet an manche abgehobenen Kollegen, „Wer sagt denn, dass unsere Wahrnehmung oder unsere Ansichten, die Richtigen sind?“ Natürlich hat er Affenhirn in China gegessen. Aber nicht aus Sensationslust, Neugier oder Größenwahn. Sondern weil es ihm als Gast als absolute Besonderheit, als Ausdruck von Wertschätzung angeboten wurde und es selbstverständlich ist, dass man Ehre mit Wertschätzung und Dankbarkeit begegnet. Und nicht mit einer gerümpften Nase. Auch das fällt an Roland Trettl auf. Er begegnet den Menschen offen, ohne Vorurteile, ohne jedwede Allüren. Eher sogar mit Zurückhaltung, Respekt und – aber das hatten wir schon – großer Offenheit und Neugier. „Je mehr man von der Welt gesehen hat, umso mehr ist man doch ein Volldepp, wenn man das Eigene für das Richtigste hält“, bringt er es sehr prononciert auf den Punkt.
Kochen mit Roland
11.50 Uhr. Auf von Andelsbuch nach Egg zu Karin Kaufmann. Kochen steht auf dem Programm. Und weil Roland Trettl gute, ehrliche Produkte mag, regionale Gerichte und es ja nicht um „The Taste“ oder „Kitchen Impossible“ geht, werden wir bei Karin Schupfnudeln machen. Ob er Lust hat? Klar, was soll die Frage. Aber vorher geht es in den Laden von Karin. Gewürzmischungen werden begutachtet, manche mit Verwunderung, die meisten mit Wohlwollen. Die getrockneten Tomatenflocken mit Begeisterung.
Und dann ab in die Küche. Erste Aufgabe: Salzstangen backen. Und weitere Qualitäten von Roland Trettl offenbaren sich: Erstens hat er eine steile Lernkurve. Zweitens packt er sofort an, wenn er in der Küche steht (Hemdsärmel hoch und Teig für die Schupfnudeln kneten). Drittens entgeht ihm vor allem in der Küche gar nix. Er sieht unsere kläglichen Versuche, gleichmäßige Schupfnudeln zu machen, kann aber auch großzügig darüber hinweg blicken. Schließlich ist er grad mal nicht der Chef, sondern einfaches Mitglied der Küchenbrigade.
Nebenbei wird über den perfekten Küchenblock diskutiert. Den hat er für Lohberger designt und umgesetzt. Mit großen Drehknöpfen statt Touchpanel. Mit planem Kochfeld statt Erhebungen. Und mit einer Arbeitsplatte aus Kupfer, die lebendig und wunderschön den massiven Block abschließt. Höhenverstellbar, skulptural, puristisch. Und funktionell bis ins kleinste Detail.
Roland Trettl erzählt, dass er als Berater heute für einen Hersteller von Produkten für die System- und Kantinengastronomie arbeitet. Warum das? Ganz einfach. Weil genau hier ein beachtlicher Hebel ist, um Qualität einer breiteren Masse von Konsumenten zugänglich zu machen und sie zu sensibilisieren. Die acht vegetarischen Gerichte, die er entwickelt hat, machen heute 30 % des Gesamtabsatzes aus.
Natürlich wird auch über Spitzengastronomie und Bewertungen gesprochen. Und dazu hat Roland Trettl eine glasklare Meinung, mit der er auch nicht hinter dem Berg hält. „Wer heute von egal welchem Lebensmittel nur die allerbesten Teile verarbeitet, hat nix verstanden. Der heischt nur nach Applaus, kocht ohne Respekt für das Produkt und biedert sich den diversen Testern an. Die sind die eigentlichen Ignoranten.“ Das sitzt. Und stimmt.
Die Schupfnudeln sind fertig. Es ist angerichtet. Mahlzeit und zum Wohl. Und über Bärlauchpesto, das Roland so überhaupt nicht mag – „Bärlauch ist ordinär“ – hüllen wir den Mantel des Schweigens.